ir waren im Urlaub im Chiemgau, mein Sohn war noch nicht ganz zwei Jahre alt. Als kulturell beflissene Eltern wollten wir nach dem ausgiebigen Studium von Kühen, Hühnern und Katzen auch mal etwas anderes sehen und besuchten eine bayerisch-barocke Kirche.
Kaum hatten wir den Kinderwagen über die Schwelle der schweren Kirchtür geschoben, wurde mein Sohn ganz still. Als wir weiter in das Kirchenschiff vordrangen, verzog er angsterfüllt das Gesicht und beim Anblick einer gemalten Szene des Kreuzweges fing er panisch an zu schreien. Wir verließen die Kirche fluchtartig. Seitdem mussten wir um alle großen Gebäude mit einem Turm einen Bogen machen.
Heute ist mein Sohn vier Jahre alt. Inzwischen lässt er sich wieder überreden, in eine Kirche zu gehen, aber nur, weil er drinnen eine Kerze anzünden darf. Immer noch unmöglich ist es, ihn zum Flüstern zu bewegen. So unterhält er alle anderen Besucher oder Betenden mit seinen blasphemischen Fragen: «Mami, haben die den nackten Mann da mit einem Akkubohrer fest geschraubt?»
Schuldig?
Bis zu jener Panikattacke hatte ich als bekennende Atheistin Kirchen eher unter dem architektonisch-künstlerischen Aspekt betrachtet. Mit den Augen meines Kindes allerdings bekommen Gotteshäuser — und da vor allem die katholischen — etwas Beklemmendes, Furcht Einflößendes. Da helfen alle Gold verzierten Schnörkel nichts, wenn dahinter Totenköpfe, Sensenmänner und martialische Kreuzigungsszenen lauern.
Eines der Probleme, das ich mit Religion und Kirche habe — und mein Kind offensichtlich auch — ist die unterschwellige Angst, mit der hier operiert wird und die sich nicht nur in der christlichen Kunst manifestiert: Die Angst, der Sünde zu verfallen und irgendwann in der Hölle zu schmoren.
Der Mensch wird erst mit dem Stigma des Sünders versehen, um ihm dann gnädig die Erlösung in Aussicht zu stellen. Aber nur vielleicht. Denn wenn er nicht folgt, gibt es ja immer noch das Fegefeuer.
«Der allmächtige Gott, der Vater unseres Herrn Jesu Christus, hat dich von der Schuld Adams befreit und dir aus dem Wasser und dem Heiligen Geist neues Leben geschenkt», heißt es bei der Taufe. Ein der Erbsünde schuldiges Baby? Ich persönlich kann mir nichts Unschuldigeres vorstellen als ein Neugeborenes.
Die Reinwaschung durch die Taufe ist dann leider auch nur von kurzer Dauer, denn selbst unter dem «Gnadenmantel» ist der Mensch ständig der Hilfe Gottes bedürftig. Um das ja nicht zu vergessen, braucht er die Firmung, das Bußsakrament, die Eucharistie. Und schon die Kinder bitten mit jedem «Vater unser» um Vergebung ihrer Schuld und um die Erlösung von dem Bösen.
Auch der evangelisch getaufte Mensch hadert ein Leben lang mit seinem schwachen Fleische, dem er nur seinen Glauben entgegenstellen kann und «täglich durch Wort und Zeichen lauter Vergebung der Sünde hole», wie Luther sagt.
Ein Leben unter dem Damoklesschwert der Sünde und der Ungnade ist ein Leben in Angst und in meinen Augen nicht erstrebenswert. Außerdem weigere ich mich, in jedem Menschen erstmal eine verderbte Seele zu sehen. Noch schwerer fällt es mir, Kinder allen Ernstes mit Begriffen wie Sünde oder Schuld in Verbindung zu bringen.
Nachdenken statt Nachbeten
Seit einigen Wochen hat mein Sprössling die überaus charmante Angewohnheit, einfach zu zuhauen, wenn ihm was nicht passt. Mich als meckernde Mutter haut er demzufolge besonders gern. Und da er nicht blöd ist, schiebt er sofort ein «Entschuldigung» hinterher, in der Annahme, damit sei alles wieder gut. Ist es natürlich nicht. Er lernt gerade mittels gestrichenem Eis, dass es mit einem hin gerotzten Wort nicht getan ist, schon gar nicht, wenn er zehn Minuten später den gleichen Unsinn wieder macht.
Ich lege großen Wert darauf, dass Worte wie «Entschuldigung» nicht zu Worthülsen verkommen und man sich durch einen rein formalen Prozess, nämlich das gleichgültige, auswendig gelernte Dahinsagen, frei kauft. So einfach geht es nicht. Es muss schon ernst gemeint sein und das kann es nur, wenn der Entschuldigung ein Nachdenken vorausgegangen ist.
Für einen christlich erzogenen Menschen ist das selbstverständlich? Stimmt. Christen, egal ob katholisch oder evangelisch, sind zur Reflexion ihrer Taten angehalten. Aber Rituale wie der allwöchentliche Kirchenbesuch oder Beten können auch dazu verführen, Bekenntnisse zu leeren Floskeln werden zu lassen. Ein Bekannter von mir betrog jahrelang seine Frau. Aber jeden Sonntag saß er in der Kirche, um sein schlechtes Gewissen zu erleichtern. Ein bisschen beichten, und schon ist er wieder rein gewaschen. Nur fest genug an die Gnade Gottes glauben und die Sünden sind vergeben. Am Montag geht es dann weiter wie bisher. Auch in den Kirchen gibt es schwarze Schafe. Taufen schützt nicht vor Heuchelei.
Für meinen Sohn wünsche ich mir, dass er über sein Tun nachdenkt und bei Fehlern für die Konsequenzen gerade steht. Ehrlich.
Toleranz
Und schließlich hoffe ich, dass mein Kind zu einem toleranten, aufgeschlossenen Menschen heranwächst. Dazu gehört auch, anderen Kulturen, Lebensformen und Glaubensrichtungen offen zu begegnen.
Christen genauso wie Moslems, Juden oder Hindus sind zwangsläufig geprägt, wenn sie von Kindesbeinen an in ihrem jeweiligen Glauben erzogen werden. Nach meiner Überzeugung schränkt jede Prägung aber bewusst oder unbewusst den Blickwinkel ein und verändert die Wahrnehmung. Kinder im Grundschulalter erzählten mir, sie würden Mitschüler auslachen, die den Islamunterricht besuchen. Einfach so, ohne sie zu kennen. Und am allerschlimmsten seien die Schüler im Ethikunterricht dran, weil die da nicht freiwillig hingehen sondern gezwungen werden. Was Ethik eigentlich ist und was in dem Unterricht gemacht wird, wussten sie allerdings nicht. Solch einen Mangel an Interesse und Verständnis finde ich in einer zunehmend multikulturellen Gesellschaft gelinde gesagt schwierig.
Ich gehörte auch zu denen, die in Ethik gingen. Zunächst, weil meine Eltern so entschieden hatten und dann freiwillig. Ich hatte Ethik sogar als Abiturfach. Durch die Vermittlung nicht nur der wichtigsten Glaubensrichtungen sondern auch philosophischer Grundlagen wurde mein persönlicher Horizont um Welten erweitert. Von dieser Offenheit profitiere ich noch heute und ich wünsche mir, dass meinem Sohn eine ähnlich solide Wertegrundlage mit auf den Lebensweg gegeben wird.
Glaube ist für mich etwas, das mit Reflexion und Philosophie zu tun hat, mit der Frage nach dem Sinn des Lebens und dem friedlichen Miteinander. Um mir darüber Gedanken zu machen und entsprechend zu leben, muss ich nicht getauft sein.
Und wenn mein Sohn mit 14 Jahren beschließt, er will sich taufen lassen, habe ich nichts dagegen. Und wenn er mit 20 Jahren wieder aus der Kirche austritt auch nicht. Hauptsache er denkt darüber nach.
Die Antwort Pro Religionsunterricht für Kinder können Sie hier in einer Woche lesen.
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